Kapitel 4

Ich sehe was das du nicht siehst - Wo?

Jetzt kanns losgehen, alles frisch geölt und ran an die Motive.
Wo findet man IR-taugliche Motive? Da wird es endlich spannend! Das Schöne ist dass es nicht nur die IR-typischen Bäume und Wiesen sein müssen, der Experimentierfreude sind zum Glück keine Grenzen gesetzt. Aber langsam.

Alle Objekte die bestrahlt werden reagieren auf die eine oder andere Art und Weise darauf - sie absorbieren oder reflektieren einen ihnen eigenen Wert an Wellen. Objekte die Infrarotstrahlung extrem hoch in Richtung unseres Objektives reflektieren werden also sehr hell bis weiss herauskommen, Objekte die Strahlung nicht reflektieren sehr dunkel bis schwarz.
Zwei sehr (ge)wichtige Medien werden wir in der freien Natur finden die nahezu nichts an IR-Strahlen reflektieren - unsere Atmosphäre und Wasser.


Unsere Atmosphäre ist sehr liberal wenn es um Strahlung aus dem All geht, sehr vieles davon darf "durch", umgekehrt gibt sie sich aber extrem zugeknöpft, weniges an Strahlung darf wieder raus ;-)
Himmel und Wasser beeinflussen sich natürlich gegenseitig - das Wasser reflektiert nämlich sonst das gesamte sichtbare Lichtspektrum.
An Bäumen und Pflanzen kann man dagegen sehr starke Quellen infraroter Reflektion finden - Blätter und Blüten.
Dieses Verhalten ist auch weitläufig unter dem Namen "Wood-Effekt" bekannt - was aber nichts, entgegen verbreiteter Meinungen, mit Holz an sich zu tun hat sondern vielmehr auf den Vater der UV- und IR-Fotografie, Professor Robert Wood zurückgeht.

Prof. Robert Wood (1868 - 1955), Baltimore, USA

Wood durchbrach 1910 die Barriere in die zweite unsichtbare Strahlenwelt mit den ersten publizierten Infrarotfotos.

Um weitere Mythen auszuräumen, die starke Reflektion bei Blättern (und somit natürlich auch Gras, das auch eine Blattform ist) hat absolut nichts mit Chlorophyll zu tun. Chlorophyll ist für IR-Strahlung quasi transparent und lässt sie vollständig passieren. Vielmehr ist es ein Effekt im Inneren des Blattes, genauer im Parenchym, dem Speichergewebe wo in den mit Luft gefüllten Zwischenräumen die Strahlung gestreut und eben reflektiert wird. Der selbe Effekt kann fotografiert werden wenn Schnee frisch gefallen ist und zwischen den Eiskristallen noch viel Luft liegt - dann reflektiert der Schnee genauso stark wie die Blätter - bis er zusammengesackt und fester ist.

Augen und die menschliche Haut sind weitere interessante IR-Reflektoren, zwar nicht besonders starke, aber visuell wahrnehmbare und damit auch gestalterisch einsetzbar!

Augen werden heller als normal dargestellt weil spätenstens auf der Retina ein grosser Teil der Strahlung des nahen Infrarotbereiches reflektiert wird - so ein Glück aber auch ;-)
Bei Haut tritt ein sehr interessanter Wachseffekt ein, die unterschiedlichen Färbungen durch Gefässe, Äderchen, Narben etc. verschwinden - "Kannst du mich mal bidde 20 Jahre jünger fotografieren?" ;-)

Alle industriell hergestellten Spielzeuge haben irgendwo ihren IR-Reiz versteckt, sei es dass bestimmte Metallarten in IR sehr viel reflektiver sind als die anderen oder für uns opaqe Blenden und Abdeckungen plötzlich durchsichtig werden.

Aufdrucke verschwinden oft vollständig und hinterlassen ein "spaciges" Gefühl beim Fotografen, probieren Sie mal einen Raum voller Monitore vor denen Menschen arbeiten - leider emittieren Monitore keine IR-Strahlung, die Menschen hantieren also vor schwarzen Glaskästen/Flächen ;-)
Ein Tisch voller Ausdrucke von Fotos mit dem Photodrucker erzeugt - leider in IR alles weisse Blätter. Wehende Fahnen mit stolzen Insignien im Wind - weiss aber ohne Inhalt.
Autos - je moderner desto undurchsichtiger werden die Scheiben.

Da muss man nicht mehr langwierig diese schwarzen Folien einkleben, wie praktisch ;-)

Eines wird so manchen allerding etwas traurig machen - das alte Märchen daß man so durch Kleidung durchfotografieren kann was so manchem pubertätsgeplagtem Fotografen den Schweiss auf die Strin trieb ist leider nicht bzw. maximal zu einem veschwinden geringen Prozentsatz wahr - die Stoffe, durch die man durchfotografieren kann sind eh schon so dünn dass man auch einfach seine Augen nehmen kann um etwaige hormonausschüttende Details zu erkennen.

Sonnenbrillen - viele werden in IR komplett durchsichtig, ein grosser Spass den so fotografierten Mitmenschen bei einer Augengrimasse hinter den vermeintlich verspiegelten Gläsern zu stellen ;-)

In diesem Fall waren die Augen nur geschlossen, aber auch nur weil die undurchsichtige Brille das vermeintlich erlaubte.

Getränke haben es auch in sich - wie wäre es zum Beispiel mit durchsichtiger Cola?

Neben den lustigen Entdeckungen zur "anderen" Art der Gestaltung bei Einsatz der grossen Lichtquelle Sonne gibt es auch noch die Möglichkeit sich selbst Licht zu machen. Vieles das man mit normalem Licht macht kann man auch in IR machen, das einfachste ist noch das Blitzen, dazu reicht es aus eine der dichten IR-Folien lichtdicht vor den Blitz zu basteln und los gehts. Wenn man allerdings keinen Blitz hat der von sich aus schon eine hohe Leistung ins IR-Spektrum hat muss man näher ran.


Sanfter als mit Blitz geht es auch mit IR-Leuchten, es gibt im Jagd- und Militärzubehör nette Lampen mit verschiedenen Lichtstärken. Das Bild oben ist eine Mischung aus IR-Leuchte und sanftem IR-Blitz - lustig wie die Pupille gross bleibt da sie ja "nichts" sieht ;-)

Zusammenfassung:

Bei der Suche nach geeigneten Objekten für die echte IR-Fotografie muss man nicht nur zu Baum vor Wasser greifen - auch wenn das immer wieder sehr schön ist. Es gibt eine ganze Reihe an neuen Blickwinkeln zu entdecken - seien Sie erfinderisch und verlassen Sie ausgetrampelte Pfade. Wenn Sie dann die Speicherkarte voll mit interessanten Motiven haben müssen diese nur noch bearbeitet werden - ein Arbeitsbeispiel folgt im nächsten Kapitel.